Sardinien und Corona

Flucht ist sinnlos. Das Web, die Zeitungen oder in den leisen Gesprächen hinter Masken im Supermarkt oder auf der Straße. Corona ist omnipräsent. Nach all den Wochen müde der Nachrichten und freue mich, dass es hier auf der Insel nach 70 Tagen oder 10 Wochen, strengem Hausarrest scheinbar langsam wieder aufwärts geht.

Die Sonne scheint heute warm für uns Insulaner, an diesem Sonntag im Mai. Wir haben 23 Grad, die Luft riecht nach Frühling. Ein Wind zieht durch die Berge und unten im Tal sind die Nachbarn im Garten beschäftigt, ihre Stimmen dringen bis zu mir hoch und es fühlt sich ein wenig Normal an, so wie vor dem Virus, wie früher.

Mein Kopf ist frei heute. Gelüftet von all den schweren Gedanken, die seit Wochen das Gemüt belasten. Seit dem 8. März sind wir hier auf der Insel zum Hausarrest verdonnert. Beschweren nein, es wäre das Jammern auf hohem Niveau. Ich mag das gar nicht. Mein Refugium hier ist gemütlich, einladend, ich fühle mich wohl. Ein alter Stazzu, ein sardisches Bauernhaus, 200 Jahre alt, renoviert in den wunderschönen Granitbergen im Hinterland der Costa Smeralda.

Olivenbäume, viel grün und wilde Schweine in der Nacht. Ein Träumchen für mich. Und eigentlich ist auch die Zeit ziemlich schnell vergangen, die erzwungene Entschleunigung hat mir gut getan. Ich arbeite in der warmen Frühlingsluft unter meinem 300 Jahre alten Olivenbaum. Auf dem kleinen antiken Tisch mein Laptop. Die Idee für ein Buch, dann ein tolles Projekt mit Andrea, meiner lieben Kollegin im Süden. Ich fühle mich wohl mittlerweile. Und da bin ich nicht alleine. Viele Menschen um mich herum fühlen so oder ähnlich. 

Corona war schwer, eine harte Probe für viele. Nicht nur finanziell. Es hieß die letzten Wochen fast absolute Ausgangssperre. Einkaufen und der Weg zur Arbeit waren gestattet, der jeweilige Grund war auf entsprechendem Formular mitzuführen, selbstverständlich als Bedingung der Mundschutz und Handschuhe, Kontrollen überall. Dazu keine Einnahmen, alles ist weggebrochen. 

Sehr hart für Wochen, meine Kinder und Enkel, die nur 30 km entfernt wohnen, nicht besuchen zu dürfen. Aber psst… nicht weitersagen, ein mal, zum zweiten Geburtstag meines jüngsten Enkelchens habe ich mich durch die Sperren geschlichen, eine Strafe riskiert, um mein Geburtstagsbaby zu sehen, mein Kind an mich zu drücken. Ich hab es kaum mehr ausgehalten. Wie schön sich an einem Abend ein bisschen Normal zu fühlen.

Die ersten vier Wochen vergingen wie in einer Schockstarre. Konfusion im Kopf absolut. Was tun, Innehalten zwangsweise, nach den ersten Tagen. Back to the roots, zu Dingen die Ablenken. Meine Roots, meine Wurzeln – mein Backofen, der gute Alte aus Omas Zeiten. Pizza a la Napoli, Teig 24 Stunden gegangen. Vor Virus war weder Zeit noch Geduld dafür da. Das Ergebnis, genial (wer das Rezept mag, schreibe mich an info(at)sardinia-dreamwedding.com). Oder Grissini, diese knusprigen Brotstangen, nie hätte ich gedacht, dass sie so einfach zu machen sind. Das Ergebnis: köstlich, mit sardischem Bio Urkornmehl gemacht und Stück für Stück vom fluffigen Teig geschnitten und in die Länge gezogen. Meine Küche war Basis vieler Experimente und das nicht nur bei mir. 


10
 Wochen und 5 kg später

Sardinien hatte Glück im Unglück. Der Norden, die Provinz Sassari hatte die meisten FälleAber mit 1352 gesamt Infizierten (Stand 17.5.) und „nur“ (bitte entschuldigt das nur) 125 TodesfällenBei dem Gedanken an die Toten, blutet mir das Herz. 125 Schicksale, betroffene Familien, die ihre Liebsten verloren haben. Die ihre Verstorbenen weder während der letzten Stunden, noch auf dem letzten Weg begleiten durften, ich fühle mit, es muß grauenvoll sein. Die Quarantäne ließ es nicht zu.

Überwiegend hat der Virus auch hier die alten Menschen aus dem Leben gerissen. Es geht mir ans Herz. Denn ich mag sie einfach, alte Menschen. Sie erinnern mich immer an meine Groß- und Urgroßeltern, die alle leider nicht mehr da sind. Unsere Alten hier sind braungebrannte, wissende, mit schönen Falten geprägte Gesichter, die die Geschichten aus vergangen Zeiten Sardiniens erzählen wissen. Die Alten, die es in jedem Dorf hier gibt, die irgendwo vor dem Haus sitzen, Abends im Sonnenuntergang und sich und ihren Enkeln zukünftiges und vergangenes Tagwerk erzählen. Ob wir morgen wieder so unbeschwert durch die Gegend reisen werden und eben diese Alten unbeschwert wie früher vor den Häusern sitzen werden? Das Frage ich mich, mahnt mich an die Schicksale zu denken, die hinter jeder grausamen Statistik in Corona Zeiten stehen.

Bei dem Gedanken kommt in mir Unverständnis auf für all die, die Demonstrieren in dem Land, dass bisher kaum vom Virus betroffen war. Ich frage mich, was Menschen dazu bringt auf die Straße zu gehen, zu schreien und zu pöbeln, ohne Masken anderen ins Gesicht zu brüllen. Was sind das für Welche? Ich fasse es nicht. Vorgeschoben wird die im Grundgesetz festgeschriebene Freiheit. Einschränkungen haben sie zu beklagen? Wo waren Einschränkungen? Meinen sie Masken und Schutzmaßnahmen für die, die sich nicht schützen können? Fassungslos sehe ich dem Bericht im Fernsehen zu. Es geschieht in dem Land, wo Krankenhäuser funktionieren und Intensivstationen noch nicht einmal in Gedanken an die Grenzen des Machbaren gestoßen sind und das, ganz sicher auch deshalb, weil der Schrecken in Italien früh genug die Zuständigen geweckt hat. Früh genug, um Schlimmstes abzuwenden.

Ich schäme mich vor den Menschen meiner Wahlheimat für mein Heimatland. All diese Bilder von dort, die hier in den Medien landen. Hier, wo so viele Menschen und Familien kein Glück hatten. Hier, wo jeder irgendwie jemanden kennt, der es nicht geschafft hat. Gestorben an einem Virus, den Hohlköpfige als Erfindung, ja sogar als Lüge betrachten. Beruhigend ist aber, dass ich (fast) niemanden kenne, der sich diesen Vollhonks angeschlossen hat.

Ein Blick auf den italienischen Norden zeigt den Virus mit all seinen grausamen Facetten. Die Zahlen kann man im Netz abrufen, sie sind Zeugnis des Unfassbaren. Trotzdem und gerade deshalb schauen hier, Freunden und Bekannten alle nach vorne. Da sind die Italiener, sorry Konkreter, die Sarden so. Die Phase 2 ist da, die Hoffnung auf Öffnung und Normalität für viele. Piano piano dürfen wir wieder raus, unsere Kinder sehen, normal einkaufen, Bars, Restaurants besuchen, zum Friseur gehen.

Bewundert und geliebt, nein sehr geliebt, habe ich in den ganzen Wochen die Art, mit der die Menschen in meinem Umfeld mit dem Virus umgegangen sind. Ich hab mich aufgehoben gefühlt. Trotz Angst und Unsicherheit.

Ende Februar blicken wir noch alle ziemlich ungläubig in den Norden, ob der Dinge die von dort berichtet werden. Viel ooh und viel aah und bereits jetzt gibt es einige Norditaliener mit Zweitwohnsitz auf Sardinien, die Bergamo oder Mailand fluchtartig verlassen, um auf dieInsel zu flüchten. Fähren und Flieger sind ungewöhnlich voll. Ich persönlich habe da, die Lage überhaupt nicht erfasst und lasse mich noch auf Dummheiten herab: „Eine Grippe ist schlimmer.“ Wie blöd und peinlich von mir.

Doch dann kommen sie mit voller Wucht. Die Berichte von Freunden aus dem Norden Italiens, aus Bergamo. Berichte, wie in den menschenleeren Straßen, Tag und Nacht nur das gespenstische Heulen der Krankenwagen zu hören ist, die Menschen mit Atemnot in die Krankenhäuser bringen. Die leeren Häuserschluchten untermalen den Schall, man sitzt versteckt hinter geschlossenen Fenstern und heruntergelassenen Jalousien. Und nachts, Kolonnen von Militär-LKW‘s, die all die vielen Toten aus den Krankenhäusern in die Krematorien bringen. 10 bis 15 Seiten Todesanzeigen in den Tageszeitungen, sagt eine Bekannte geschockt in einer Whatsapp Nachricht. Im angehängten Foto, die lange Schlange der LKW‘s bei Nacht. Corona zeigt sein schreckliches und plötzlich sehr reales Gesicht.

Und Sardinien ist Tapfer, seine Menschen zeigen sich vereint. Schulen und Kindergärten, Einkaufsläden, Bars und Restaurantsschließen. Man ist geschockt, nimmt aber gerne Rücksicht. Rücksicht auf die Schwachen, die Risikogruppen, die, die es nicht überleben könnten. Die Devisen: #stiamoacasa – wir bleiben Zuhause #celafaremo, wir schaffen das.

Schon in der ersten Woche des Lockdown, eine rege Gruppenbildung per Whatsapp oder Telegramm, man organisiert sich um gemeinsam die neuesten Neuigkeiten aus der Welt der Behörden zu erfahren. Meine sardischen Freunde erklären mir immer wieder mit Engelsgeduld, die rechtlichen, nicht unkomplizierten Auslegungen der Gesetze, die für mich als Deutsche nicht immer auf den ersten Blick verständlich sind. 

Schulen gibts jetzt nur noch online, morgens von 10 bis 12 und nachmittags teilweise auch noch einmal. Mein Enkel, 10 Jahre, lernt mit einer Schnelligkeit und Freude das Medium Computer, Chat, Videochat und Download, dass seine Eltern nur verwundert und stolz den Kopf schütteln. Er liebt seine regelmässigen Treffen mit Klassenkameraden und Lehrern. Die Schule bleibt eh bis September geschlossen, und am Computer ist es zu spüren: die Freude der Gruppe, die familiäre Stimmung zwischen den Schülern und ihrer Lehrerin. Es ist nett das zu sehen, wie gut es den Kindern tut.

Meine Crossfit Gruppe ist Zoom geschlossen beigetreten. Der Coach gibt täglich die Hausaufgaben vor, Abends dann, gemeinsam mit den anderen am Bildschirm gehts ran an den allseits angefressenen Speck. Seriöses Schwitzen mit Situps und Squats. Wasserflaschen ersetzen Hantel, der Küchenstuhl die Box – alles geht. 

Die Stunde mit der Yogagruppe war morgens schon, auch dort alle motiviert und motivierend. Wir haben ja jetzt Zeit, sehr viel Zeit und irgendwie scheint es langsam normal so. Dann kleine Feste, allabendliches Singen, Musizieren, Klatschen und Hochrufe von den Balkonen über den leergefegten Straßen von Olbia. Haltet durch, ein Zeichen und Danke an alle, die für uns in den Krankenhäusern ihr schweres Werk tun, ihre Gesundheit für uns aufs Spiel setzen. Und Opfer unter Krankenschwestern und Ärzten gibt es viele in diesen Zeiten.

Dann sind da noch Wildschweine und Füchse die in die Innenstädte zurückkehren. Haie und Delfine werden gesichtet, sie schwimmen, in den nun ruhigen und glasklaren Hafenbecken, kratzen sich an der Hafenmauen genüsslich die Rückenflosse. Keine Spur von Angst oder Scheu, des Fischers Smartphone Film, geht viral und erstaunt viele. Meeresschildkröten kehren an die Strände Stintino’s zurück. Es ist auf einmal so schön still dort.

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Die Menschen hier sind füreinander da, einer für den anderen, die Starken für die Schwachen, man geht einkaufen für die Nachbarn, die als Risikogruppe besser zuhause bleiben sollen. Online nimmt man Teil am Schmerz derer, die ihre Lieben im Kampf gegen den Virus verloren haben. Man leidet mit denen, die keinen Abschied nehmen konnten. China schickt Container mit Atemmasken und medizinischem Hilfsmaterial. Wir tragen die Masken zur Sicherheit und als Zeichen der Rücksicht und Anteilnahme.

Die Hoffnung der Öffnung

Heute, am 17.5. ist Sardinien in der sogenannten Phase 2, wir öffnen. Die strengen Beschränkungen werden nach und nach gelockert. Atemmaske und Handschuhe sind treue, tägliche Begleiter, in den größeren Geschäften wird die Temperatur auf der Stirn gemessen.Bilder aus China kommen mir in Erinnerung. Die Menschen verstehen, sind ruhig und gelassen, wissen dem Warum. Alle hoffen, dass wir das Virus auf Sardinien einigermassen im Griff haben sofern man das sagen kann. Alle arbeiten mit daran, dass es so bleibt.Ausnahmen soll es geben, ich persönlich kenne Niemanden der es auf die leichte Schulter nimmt.

Die sardische Regierung denkt an die Saison, die Öffnung für Touristen. Eine Saison, die in diesem Jahr wohl keine richtige werden wird. Viele Betriebe, stehen an den Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten. Ob und wer öffnet oder öffnen kann, wird sich erst noch zeigen. Die Auflagen werden hoch sein, die Diskussion um das Wie ist noch nicht ausdiskutiert. Pläne und Ideen sind da, konkrete Beschlüsse noch nicht. Erst mal sehen, wie sich diese Lockerung auswirkt. Alle hoffen aber, dass es gut geht. Das zumindest noch ein kleines Bisschen Saison möglich sein wird.

Heute dürfen wir nach Vorne schauen. Ab morgen weitere Lockerungen, die fast ausnahmslos erst einmal für uns Insulaner und die paar Menschen gelten, die mit Sondergenehmigungen von und nach Sardinien reisen dürfen. Spekulationen sind nicht mein Ding, weshalb ich mich dem überall gängigen vielleicht, eventuell und könnte nicht anschließe. Wenn Dinge konkret werden, gebe ich gerne alles weiter, Verwirrung tut niemandem gut. Facebook ist ein Top Beispiel. 

Der sardische Präsident plant und erarbeitet derzeit einige Strategiepapiere, die alle, lediglich als Planungen für die Öffnung gelten. Ein überaus schwieriges und umfangreiches Unterfangen. Misslingt es und der Virus flammt erneut auf, würde ihm der Stuhl unter dem Allerwertesten heftig brutzeln. Das Festland gibt den Rahmen vor, die einzelnen Regionen haben aber die Möglichkeit individuell anzupassen. Sardinien ist sicher ein Sonderfall. Unser R Wert ist sehr niedrig und niemand möchte durch eine vorschnelle Öffnung den Virus erneut hier haben. Die Entscheider tragen die Verantwortung, dass Bewohner und Gäste gesund sind und bleiben.

Wir hier freuen uns jetzt aber erst einmal, dass Bar‘s, Restaurants und alle anderen Geschäfte, dazu Friseure, Schönheitssalons öffnen dürfen. Die Branchen haben Auflagen, die es zu beachten gilt. Aber die Öffnung tut gut, Zuversichtlichkeit liegt in der Luft und lässt uns alle ein wenig aufatmen.

Für meine Branche, Hochzeiten und Events, sind die Termine jetzt erst einmal bis einschließlich August gecancelt und in den Herbst oder das neue Jahr verschoben. Wenn alles gut bleibt, wage ich zu behaupten, dass uns der September die erste vorsichtige Planungssicherheit geben könnte.

Ich bitte alle Paare, Kunden und Gäste – cancelt nicht, verschiebt die Daten. Ihr tut ein gutes Werk, rettet unsere Insel, seine Bewohner.  

Ich wünsche mir, dass Paare und Gäste entdecken würden, wie schön Sardinien im Winter ist. Der Oktober ist noch ein wunderbarer Reisemonat mit vielen warmen Tagen, das Meer ist noch sehr schön warm und lädt zum Baden ein. Der Winter ist mediterran mild und lädt zu vielen Freizeitsport Möglichkeiten ein. Vielleicht ist es ja auch eine Chance?

In diesem Sinne.. habt Euch lieb, bleibt Gesund.

Wer Fragen hat, immer gerne her damit.

Eure Anja

Verfasst von

Herz & Kopf von Sardinia DreamWedding. Hochzeits- und Eventplanung auf Sardinien. Ich liebe Sardinien und alles was damit zu tun hat, sein Menschen, seine Kultur, Flora und Fauna, seine fantastische Küche. Meine Steckenpferde: feine und ganz besondere Events organisieren, Tiny Living, meine Katzen, Hunde, Pferde, lesen, kochen. Danke dass Ihr hier seid. Ci vediamo in Sardegna ❤

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